Sozialtrainings an der Gesamtschule - mutig und ehrlich sein
Der erste Fünfer-Jahrgang, der nach der Gründung der Schule die ersten Sozialtrainings absolvierte, hat mittlerweile die Oberstufe erreicht. Auch alle folgenden Jahrgänge durchliefen und durchlaufen die Trainings (Fünfer und Sechser im Fünf-Wochen-Rhythmus). Das Training hat sich im Schulprogramm etabliert, ist ausgebaut und vertieft worden.
Schulsozialarbeiter Hans Thellmann setzt auf die präventive Wirkung. „Wie der Name Training sagt: Manche Dinge muss man immer wieder üben.“ Es geht letztlich darum, Kompetenzen zu trainieren, ohne die eine Klasse nicht funktionieren würde. Es geht um Respekt, Achtung vor anderen Menschen und ihrer Meinung, das Recht auf körperliche und seelische Unversehrtheit, das Recht auf Bildung (das zum Beispiel gefährdet ist, wenn der Unterricht gestört wird) – letztlich um Menschenrechte im Alltag. Die Prinzipien werden in den weiterführenden Trainings mit externen Partnern (etwa der städtischen Sozialarbeit) weiter gepflegt. „Wir sprechen da mit einer Sprache“, sagt Thellmann.
In den Sozialtrainings gehe es keinesfalls darum, einzelne „Sorgenkinder“ zu identifizieren, sondern die Klasse als Gesamtgefüge stehe im Mittelpunkt. Jeder einzelne Schüler habe persönliche – ja: Schwächen – aber eben auch Stärken, die man gezielt einsetzen könne. Thellmann nennt ein Beispiel: Eine Übung sehe vor, dass sich die Kinder gegenseitig Lob-Briefe schreiben, in denen sie sich positive Eigenschaften bescheinigen. Einmal habe ein eher unscheinbarer Junge einen ganzen Stapel dieser Briefe erhalten. Er hat offensichtlich einen besonderen Wert für die Klasse, wirkt ausgleichend, beruhigend, versöhnend. Auch andere praktische Übungen, bei denen die Kinder etwa gemeinsam ein imaginäres rettendes Ufer erreichen müssen, fördern immer wieder unentdeckte Talente zu Tage. Und nicht immer sind es die „Lautsprecher“ der Klasse.
Claudia Termöllen-Gausling, Sozialarbeiterin der Stadt, berichtet von einer anderen Übung, bei der jedes Kind aufgefordert werde, einen bedeutenden, persönlichen Gegenstand mitzubringen. Für einen Schüler war dies sein Tornister. Was erst Stirnrunzeln auslöste, empfanden schließlich alle als berührende Geschichte: Der Junge hatte sich den „Toni“ quasi ab der Grundschule vom Mund abgespart, um auf der weiterführenden Schule auch solch eine Schultasche haben zu können, wie alle anderen. „Ab da war dieser Tonister für alle in der Klasse quasi heilig“, sagt die Pädagogin. Niemand habe es mehr gewagt, die Tasche durch den Raum zu werfen – was in Klassen durchaus vorkommt. „Das ist immer wieder ergreifend und berührend, was wir mit den Klassen erleben.“
Um Persönliches preiszugeben, erfordert es eine Portion Mut. Die Kinder zu ermuntern, mutig und ehrlich zu sein, ist daher eines der ganz zentralen Ziele der Sozialarbeiter. Mutig und ehrlich zu bekennen, wenn man sich unwohl fühlt (aber auch wenn man sich gut fühlt) ist der erste Schritt hin zu mehr Achtsamkeit. Für sich und andere.
Auch das Thema Mobbing wird in den Sozialtrainings aufgegriffen – mitunter auch in Form einer Krisenintervention, wenn ein gravierender Fall offenkundig wird. Dann, so Thellmann, könne man natürlich nicht sagen: Wir machen nur Prävention. „Dann müssen wir auch eingreifen.“ Und jedem müsse klar sein: Regeln nicht zu beachten zieht Konsequenzen nach sich. Mit „Blümchenpädagogik“ kommt man im mitunter rauen Schulalltag eben nicht weit. Sollte Mobbing auftreten, ist es nach Einschätzung der Sozialarbeiter im Übrigen ratsam, dass Eltern nicht versuchen, sich auch noch einzumischen. Das verkompliziert die Sache meistens noch. „Stattdessen empfehlen wir Eltern, sich vertrauensvoll an die Klassenlehrer zu wenden und ihnen mitzuteilen, was ihr Kind zuhause berichtet“, sagt Thellmann.
Unter dem Strich, könne man schon sagen, meint Thellmann „mal ganz bescheiden“, dass die Trainings einen Beitrag dazu leisten, die Grundlage für den weiteren Weg der Schüler zu legen. Aus mündigen und respektvollen Schülern werden irgendwann vielleicht Streitschlichter, Schulsanitäter oder Schülerfirma-Aktive. Und noch später Männer und Frauen, die in Familie, Beruf und Gesellschaft einen verantwortungsvollen Beitrag zum Gelingen leisten.